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Datum:31.01.04
Titel:Neue Presse v. 31.01.2004: Der Niedergang der Betonburg
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Details:Totentanz in Hannover umstrittenstem Viertel: Seitdem Saturn angekündigt hat, das Ihme-Zentrum zum Ende des Monats zu verlassen, ist die Betonburg an Lindens Südgrenze wieder ins Gespräch gekommen. Sie droht nicht länger nur ein städtebaulicher Sündenfall zu bleiben, sondern hat beste Chancen, eine Betonleiche zu werden: Immer mehr Händler verlassen das Areal. Sie haben die Nase voll vom Niedergang und glauben offenbar nicht mehr an einen Neuanfang


VON KARL-RICHARD WÜRGER

Yilmaz ist unterwegs. Mit schlenderndem Schritt geht er in Adidas- Turnschuhen über das graue Pflaster im Ihme-Zentrum. Er passt auf, dass er nicht in die Haufen der Hunde oder den Auswurf der Menschen tritt.

Es ist Mittagszeit, und der Mann vom Bosporus hat Hunger. Als Türke weiß er, wo man die besten Döner bekommt: bei Murat im Ihme-Zentrum.

Murat Sengezer, ein Mann mit schwarzem Haar und weißer Schürze, ist ein aufmerksamer Döner-Griller: Er kümmert sich gekonnt und geschäftstüchtig um die leiblichen Bedürfnisse hungriger Passanten. Und er ist ein wacher Geschäftsmann. Deshalb sieht er, wer kommt und wer geht: Seine Döner-Bude liegt an der stillstehenden Rolltreppe, die ins Ihme-Zentrum führt.

Wie laufen die Geschäfte? Murat wiegt bedenklich den Kopf, lässt sich orientalisch viel Zeit für eine Antwort - die Angelegenheit ist wichtig. Die guten Tage, so schätzt er, sind vorbei: Früher war alles besser. Dann wendet er sich in der schnörkellosen Sprache eines Zugewanderten der Zukunft zu: „Saturn weg - Leute weg.“

Vier Worte, mehr braucht man nicht. Murat Sengezer bringt das Gefühl, auf das wir bei unserer Recherchearbeit im Areal zwischen Küchengarten und Schwarzem Bären immer wieder stoßen werden, auf den Punkt: Niemand glaubt, dass das Zentrum als Handelstreff noch eine lange Halbwertzeit haben wird.

Wir besuchen einen Zeitzeugen, um ihn zu fragen, ob dies Panikmache oder eine begründete Einschätzung ist: Wir gehen zu Günter Scheffler. Vorbei am leeren Rossmann-Laden, am verlassenen Friseurgeschäft, an der mausetoten Jeans-Boutique. Lassen den Leerstand des Bäckers, der Sparkasse, des Waffengeschäftes, der Erotikbude, der Sparkasse, des einstigen Wissenschaftsladens und des Reisebüros hinter uns.

Günter Scheffler handelt mit Eisenbahnen. Mit kleinen Miniaturen, die im Regelfall Erwachsenen große Freude machen. „Ich bin hier, seit das Ihme-Zentrum aufgemacht hat“, erzählt der alte Herr. „Damals. 1974, galt das hier als schick: Wir haben uns davon versprochen, dass Leben in die Bude und Geld in unsere Kasse kommt.“

Was ist davon geblieben? „Niemand kann es übersehen: Hier gehen die Lichter aus. Wenn Saturn nun noch geht, dann wird es zappenduster.“

Mit dem Weggang von Huma, dem großen Discounter für Lebensmittel, sei ab den 80er Jahren alles schlechter geworden: „Huma hat die Leute gezogen. Es war ein Fehler, sie gehen zu lassen.“

Nicht der einzige, der gemacht wurde - meint Scheffler. „Weil nicht vermietet wurde, hat die Stadt Sozialschwache einquartiert: Gutes Publikum ist deshalb immer mehr weggeblieben.“

In einigen Häusern wohnen auffällig viele Menschen, denen man ansieht, dass sie Strandgut im Ihme-Zentrum sind: „Prostituierte, Punker und Drogenabhängige“, sagt Alfred Lessing. Er ist Fachberater für Kinder- und Jugendarbeit bei der Stadt Hannover und hat sein Büro in einem Hochhaus im Ihme-Zentrum. Als wir ihn besuchen, hat er, obwohl Tag ist, die Jalousien vor die Fenster gezogen. „Wenn man rausschaut, kriegt man eine Depres: Man sieht Müllberge und Verfall - das geht auf die Stimmung.“

Auf dem Flur in der 5. Etage treffen wir Lessings Kollegen Peter Kemp. Er bemüht die Dschungel-Show und ulkt über das Quartier der Stadtbediensteten: „Hilfe! Holt mich hier raus!“. Ernsthafter: „Diesen Bau kann man nicht sanieren. Den muss man abreißen.“

Besser, Günter Scheffler hört das nicht: Er ist Eigentümer seines Geschäftes, hat für seinen Laden viel Geld gezahlt: „380 000 Mark.“ Der neue Besitzer des Ihme-Zentrums, Frank-Michael Engel, habe seinen Laden kaufen wollen: „Natürlich billiger. Der wollte ein Schnäppchen machen.“ Wie geht es weiter?

Scheffler ist guten Mutes: „Mein Laden kann sein, wo er will - Eisenbahnliebhaber werden ihn immer finden.“

Bei anderen Geschäftsleuten herrscht Untergangsstimmung: Kenan Kekec ist Wirt einer Kneipe im Schatten der Stadtwerke, die hier zwar noch sind, aber auch schon mit dem Gedanken spielen, den in Raten sterbenden Koloss zu verlassen. Der Mann hinterm Tresen: „Der Ofen ist aus, wenn Saturn geht. Vielleicht mach ich meinen Laden auch zu.“

Wär schade: „Meine Gäste haben sich hier 13 Jahre lang bei mir wohl gefühlt. Aber was soll ich machen, wenn nun keiner mehr kommt ...“.

Es geht nicht mehr aufwärts: Die Rolltreppen sind schon abgestellt



Beton-Blick: Trostlose Aussicht aus ALfred Lessings Büro

Fotos: Wilde
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