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Datum:29.12.03
Titel:Welt: Bush und Blair meißeln ihre Spur in die Geschichte - (interessant wg. Bemerkungen zu Clinton)
Link:www.welt.de/data/2003/12/27/215651.html
Details:Welt v. 27.12.2003

Bush und Blair meißeln ihre Spur in die Geschichte

US-Präsident und sein britischer Kollege haben eine strategische
Allianz geschmiedet, die nicht nur den Nahen Osten verändert hat

von Thomas Kielinger

London - 

Es war Freitagabend, der 19. Dezember, jener dramatische Tag, an dem
Libyen in Tripolis und auf Arabisch die Absicht bekannt gab, seine
Programme zur Herstellung von Waffen der Massenvernichtung
einzustellen. Entsprechend der zwischen Washington und London
abgesprochenen Choreographie gab als Erster Tony Blair diese Nachricht
an sein Publikum weiter, im Fünf-Minuten-Abstand gefolgt von George W.
Bush in Washington.

So sorgfältig läuft inzwischen der Pas des deux zwischen den beiden
Alliierten, so bemüht war der Präsident, Blair das jus primae noctis
beim Thema Libyen zu lassen. Die britische Diplomatie hatte
schließlich die Hauptlast der Geheimverhandlungen getragen. Überhaupt:
Die Festnahme Saddam Husseins sechs Tage zuvor konnte er, George Bush,
als besonderen Triumph für sich verbuchen. Jetzt sollte Tony seinen
Sieg haben. Arbeitsteilung zwischen zwei eingespielten Akteuren auf
der internationalen Bühne.

Sieg für Diplomatie und Verhandlungen

Blair deutete den Umschwung in Tripolis pointiert als Beweis, dass
nicht immer Gewaltanwendung das letzte Wort behalten müsse: Der
Durchbruch sei ein Sieg für Diplomatie und Verhandlungen. Aus
Washington, nicht überraschend, kam ein anderer Akzent. "Waffen der
Massenvernichtung bringen keinen Einfluss, kein Prestige", trug Bush
vor. "Sie bringen Isolation oder sonst wie unwillkommene
Konsequenzen."

Das Understatement "sonst wie unwillkommene Konsequenzen" dürfte in
die Hall of Fame der politischen Sprache eingehen - als freundlich
drohende Erinnerung an die Adresse potenzieller Konfliktsucher, was
ihnen bei Uneinsichtigkeit möglicherweise drohe. Ein Zeichen, wie
stark sich die Koordinaten des Weltgeschehens gedreht haben. Schon
setzen die USA das überragende Ereignis des Jahres 2003, den Krieg im
Irak, als Mittel der Abschreckung ein, um aufkommenden Krisenherden
desto besser im Vorfeld begegnen zu können. Würde vom Irak-Krieg
tatsächlich diese abschreckende Wirkung ausgehen - und viele sehen in
Libyens Schritt eine Bestätigung dafür - wäre der Gewinn für die
Staatengemeinschaft in der Tat unermesslich.

Roosevelts Ausruf

Keine internationale Agentur, nicht die UNO, nicht die Nato oder -
kaum vorstellbar - die EU beförderten diesen welthistorischen Wandel.
Es waren vielmehr zwei Staaten, nein, zwei Führungspersönlichkeiten,
die das Risiko des Eingriffs in den geschichtlichen Prozess eingingen
und ihr Los unwiderruflich an die Hoffnung auf eine Wende zum Besseren
ketteten, am Golf und darüber hinaus. Wir haben nichts zu fürchten als
die Furcht selber, rief einst Präsident Franklin Delano Roosevelt in
seiner ersten Inaugurationsrede im März 1933. 70 Jahre später schöpfen
die Angloamerikaner aus dieser Ermahnung noch immer ihren Mut, wenn
sie an eine Wegmarke kommen, an der Entscheidungen gefällt werden
müssen, aus Prinzip: also strategische Entscheidungen.

Das schreibt sich so leicht. Ein Blick in das gealterte Gesicht des
50-jährigen Tony Blair verrät, welcher Preis zu entrichten ist, wenn
einer in den Krieg geht und damit die Büchse der Pandora öffnet.
Großbritannien, als mittlere Macht, unterliegt in solchem Fall
größeren Nervenbelastungen als die Hypermacht Amerika. Auch hatte der
Brite einen unendlich höheren Berg des Widerstands zu überwinden als
der amerikanische Präsident bei sich zu Hause. Nur eine unwandelbare
Überzeugung von der Richtigkeit des Handelns hält so viel Widerstand
aus.

Kompliment für "Tony"

Eine zweite Stütze kommt für beide hinzu: Die Präsenz des anderen, des
Partners. Technisch gesehen hätten die USA im Irak einen Alleingang
riskieren können. Aber der amerikanische Präsident weiß, was ihm die
unerschrockene Nähe eines Gleichgesinnten im Auf und Ab des Geschehens
vor und nach der Invasion im Irak bedeutet hat und weiterhin bedeutet.
Er weiß es, und er weiß es zu schätzen. Kurz vor seinem Staatsbesuch
in London im November dieses Jahres stellte Bush in einem Gespräch mit
britischen Printmedien seinem britischen Gastgeber das folgende
"Zeugnis" aus.

"Tony ist der am wenigsten durch taktische Erwägungen bestimmte
Politiker, den ich kenne", so der Präsident. "Er trifft Entscheidungen
auf der Basis dessen, woran er glaubt. Er sagt, was er denkt, und tut,
was er sagt, dass er tun werde. Das ist ungefähr das höchste
Kompliment, das ich einem Regierungschef und Mitstreiter machen kann."
Bush fuhr fort: "Nicht ein einziges Mal hat Tony mir gegenüber
geklagt: ,Ach, dieser Druck, der auf mir lastet." Auch über Umfragen
hat er sich nie beschwert, nie die Hände gerungen. Ich bewundere
jemanden, der auch in schwerer See zu sich steht. Und ich bewundere
jemanden, der wie ich von dem tief verwurzelten Gefühl ausgeht, dass
die Freiheit eine unglaublich wichtige Rolle spielt bei der
Veränderung der Welt."

Man mag das als captatio benevolentiae an den Gipfelpartner Blair
abtun, kurz vor der Londoner Begegnung. Das würde aber übersehen, wie
viel der Amerikaner in diesen Passagen von sich preisgab, wie viel von
seiner tiefen Genugtuung, mit dem Casus belli Irak nicht allein
geblieben zu sein, trotz der militärische Präponderanz der USA,
überwältigend genug für einen Alleingang.

Seltsamste Allianzen...

Ein englisches geflügeltes Wort sagt: History makes strange bed
fellows - die Geschichte schmiedet die seltsamsten Allianzen. Die
zwischen Tony Blair und George Bush, zwischen dem europäischen
Reformsozialdemokraten und dem amerikanischen Neokonservativen, sah
zunächst so aus. Als eigentliche Seelenfreunde hatten Bill Clinton und
Tony Blair gegolten, das politische Traumpaar schlechthin,
sprichwörtlich auf gleicher Wellenlänge. Unvergessen das Dinner zu
viert im "Pont de la Tour"-Restaurant an der Themse in Londons Osten,
vier Wochen nach Blairs Wahlsieg am 1. Mai 1997. Unvergessen die
Dritte-Weg-Seminare auf dem Landsitz Chequers, unter wortgewandter
Beteilung von Hillary und Cherie. Blair schaute zunächst zu Clinton
auf als dem Täufer des Dritten Weges, der ihm vier Jahre im Amt voraus
hatte, 1993 bis 1997.

Mit der Hochachtung war es dann rasch vorbei, wie der angesehene
"Times"-Kolumnist Peter Riddell in seinem soeben erschienenen Buch
"Hug Them Close" noch einmal in Erinnerung ruft. Blair wurde zunehmend
desillusioniert ob Clintons Unfähigkeit, Versprochenes auch
einzuhalten. Irak, der internationale Terrorismus sowie der
Kosovo-Konflikt waren lehrreiche Beispiele.

Auf die Terroranschläge in Daressalam und Nairobi, im August 1998,
reagierte Clinton mit einem Cruise-Missile-Schlag gegen den Süden des
Sudan, wo wenig mehr zerstört wurde als ein Arzneimitteldepot. Er
machte keine Anstalten, Terrorismus und Schurkenstaaten ernst zu
nehmen. Das erwies sich nach dem Bombenanschlag auf das World Trade
Centre in New York im Februar 1993, das wiederholte sich drei Jahre
später, als die Clinton-Administration kein Interesse zeigte an dem
sudanesischen Angebot, ein Geheimdienst-Dossier zur Verfügung zu
stellen über Osama Bin Laden und Al Qaida, die gerade aus dem Lande
gewiesen worden waren. Bin Laden nistete sich dann, mit den bekannten
Folgen, bei den Taliban in Afghanistan ein.

Clinton wird überrundet

Am 31. Oktober 1998 überrundete der eigene Kongress Bill Clinton in
puncto Ungeduld mit Saddam Hussein und trotzte dem Weißen Haus den so
genannten Iraq Liberation Act of 1998 ab, der ein Programm etablieren
sollte "zur Unterstützung eines Übergangs zur Demokratie im Irak"
(sic). Unter Sektion 3 dieses Gesetzes steht expressis verbis: "Es
sollte die Politik der Vereinigten Staaten sein, Bemühungen zur
Beseitigung des Saddam-Regimes zu unterstützen und die Bildung einer
demokratischen Nachfolgeregierung zu befördern."

Regime change, Demokratie - es war lange vor George Bush bereits auf
dem Tisch; aber alles, wozu sich Clinton, von Blair gedrängt,
durchringen konnte, nachdem Saddam Hussein die Arbeit der
Waffeninspekteure unmöglich gemacht hatte, war Ende Dezember 1998 die
gemeinsame Bombardierung von irakischen Bodenzielen.

Der Kosovo-Konflikt März bis Juni 1999 drohte sogar zum Zerwürfnis
zwischen den Dritte-Weg-Brüdern zu werden. Mehrmals gerieten Blair und
Clinton aneinander, kulminierend in einem "sehr erregten" 90-Minuten
Telefonat, als Blair damit drohte, er werde britische Nato-Truppen
abziehen, wenn amerikanische Luftunterstützung nicht endlich in den
Krieg eingreife. Ein späteres unschmeichelhaftes Briefing durch den
Spin-Meister in der Downing Street, Alastair Campbell, sollte dann
Bill Clinton auf die höchste Palme treiben. Die Gemüter beruhigten
sich, und der scheidende Präsident gab Blair sogar den guten Rat:
"Rück so nah an Bush heran wie mit mir, und unterschätze ihn nicht. Du
hast es mit einem geriebenen, hartnäckigen Politiker zu tun, der
absolut rücksichtslos sein kann."

Blairs Überzeugung

Schon nach nur einem Jahr hatte der Brite eine engere Beziehung zu
Bush aufgebaut als zu dem Mann, dem er diesen Rat verdankte. Wie eng,
bewies der Strom persönlicher Notizen von Blair an den neuen Hausherrn
in der Pennsylvania Avenue 1600. Nach dem 11. September 2001
intensivierte sich dieser Austausch. Dessen Ausmaß, die schiere
Themenfülle, nennt Riddell in seinem Buch "das bisher bestgehütete
Geheimnis dieser transatlantischen Beziehung" und vergleicht es mit
den Mitteilungen Churchills an Roosevelt während des Zweiten
Weltkriegs.

Blair begriff schnell, wen er in George W. Bush vor sich hatte - das
genaue Gegenbild zu Bill Clinton, was Verlässlichkeit anging. "Bush
ist stark und gerade heraus. Man weiß bei ihm, woran man ist",
vertraute er seinen Mitarbeitern früh an - ein Kompliment, das der
Amerikaner in dem zitierten Interview gekonnt returnierte. Entschieden
stellte sich Blair zudem in der Analyse der neuen Gefahren nach "9/11"
an die Seite von Bush - nicht aus taktischem Kalkül, sondern weil er
selber davon überzeugt war. Noch am "Libyen-Abend", dem 19. Dezember,
ließ er einen Ton höchster Befriedigung anklingen: "Im Übrigen
beweisen diese Vorgänge, dass meine Regierung die größte Bedrohung des
21. Jahrhunderts korrekt definiert hat: Massenvernichtungswaffen in
den Händen von Schurkenstaaten."

Der Gleichklang mit Bush hat den britischen Premier tief geprägt.
Gegen Ende des kürzlichen Staatsbesuches verlor Blair wieder einmal
die Geduld mit den Medien, als diese ihn traktierten mit der Frage,
was denn der Besuch für ihn, Blair, an amerikanischen Konzessionen
gegenüber britischen Desideraten gebracht habe - im Stahlstreit, in
der Palästina-Frage, bei den britischen Gefangenen in Guantánamo Bay.
"Dieser Besuch hatte nichts mit payback zu tun", erwiderte Tony Blair
ebenso entrüstet wie frustriert. "Wir haben hier unsere strategische
Allianz weiter gefestigt und unsere Auffassung von den gegenwärtigen
und kommenden Gefahren erneut aufeinander abgestimmt."

Auf die amerikanische Karte gesetzt

History makes strange bed fellows. In diesem Fall jedoch nicht ganz so
merkwürdige, wie es anfänglich scheinen mochte. Sowohl Blair als auch
Bush schöpfen aus einer weltpolitisch interventionistischen Tradition,
für die in den USA ursprünglich die demokratische Partei stand, ehe
die Erblinie unter Ronald Reagan auf die Republikaner übersprang, zu
denen versprengte Vertreter der freiheitlich-liberalen Schule stießen
wie Jean Kirckpatrick, Eugene Rostow oder auch Richard Perle.
"Reagan-Demokraten" nannte man sie. In England kann sich Tony Blair
seinerseits auf William Gladstone berufen, den großen liberalen
Premier des 19. Jahrhunderts.

Blair, der so oft wie möglich davon spricht, "im Herzen Europas" zu
stehen, hat dennoch aus voller Erkenntnis des Gleichklangs in der
Bedrohungsanalyse und eingedenk der enormen Fähigkeit der USA,
verändernd einzugreifen in der Welt, auf die amerikanische Karte
gesetzt. Nur sie, (noch) nicht die EU, erlaubt ihm, seine Sicht von
den Herausforderungen der Zukunft seinerseits in geschichtsträchtige
Tat zu verwandeln.

Bei ihrer ersten Begegnung in Camp David, im Februar 2001, versuchten
"B&B" noch mit linkischem Witz, ihre Sprödigkeit zu überwinden. "Wir
haben festgestellt, dass wir die gleiche Zahnpasta benutzen -
Colgate", frozzelte Bush. Inzwischen teilen er und Blair eine Spur in
der Gegenwart, die man nicht anders als historisch bezeichnen kann.

Artikel erschienen am 27. Dez 2003

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