Details: | Welt v. 27.12.2003
Bush und Blair meißeln ihre Spur in die Geschichte
US-Präsident und sein britischer Kollege haben eine strategische Allianz geschmiedet, die nicht nur den Nahen Osten verändert hat
von Thomas Kielinger
London -
Es war Freitagabend, der 19. Dezember, jener dramatische Tag, an dem Libyen in Tripolis und auf Arabisch die Absicht bekannt gab, seine Programme zur Herstellung von Waffen der Massenvernichtung einzustellen. Entsprechend der zwischen Washington und London abgesprochenen Choreographie gab als Erster Tony Blair diese Nachricht an sein Publikum weiter, im Fünf-Minuten-Abstand gefolgt von George W. Bush in Washington.
So sorgfältig läuft inzwischen der Pas des deux zwischen den beiden Alliierten, so bemüht war der Präsident, Blair das jus primae noctis beim Thema Libyen zu lassen. Die britische Diplomatie hatte schließlich die Hauptlast der Geheimverhandlungen getragen. Überhaupt: Die Festnahme Saddam Husseins sechs Tage zuvor konnte er, George Bush, als besonderen Triumph für sich verbuchen. Jetzt sollte Tony seinen Sieg haben. Arbeitsteilung zwischen zwei eingespielten Akteuren auf der internationalen Bühne.
Sieg für Diplomatie und Verhandlungen
Blair deutete den Umschwung in Tripolis pointiert als Beweis, dass nicht immer Gewaltanwendung das letzte Wort behalten müsse: Der Durchbruch sei ein Sieg für Diplomatie und Verhandlungen. Aus Washington, nicht überraschend, kam ein anderer Akzent. "Waffen der Massenvernichtung bringen keinen Einfluss, kein Prestige", trug Bush vor. "Sie bringen Isolation oder sonst wie unwillkommene Konsequenzen."
Das Understatement "sonst wie unwillkommene Konsequenzen" dürfte in die Hall of Fame der politischen Sprache eingehen - als freundlich drohende Erinnerung an die Adresse potenzieller Konfliktsucher, was ihnen bei Uneinsichtigkeit möglicherweise drohe. Ein Zeichen, wie stark sich die Koordinaten des Weltgeschehens gedreht haben. Schon setzen die USA das überragende Ereignis des Jahres 2003, den Krieg im Irak, als Mittel der Abschreckung ein, um aufkommenden Krisenherden desto besser im Vorfeld begegnen zu können. Würde vom Irak-Krieg tatsächlich diese abschreckende Wirkung ausgehen - und viele sehen in Libyens Schritt eine Bestätigung dafür - wäre der Gewinn für die Staatengemeinschaft in der Tat unermesslich.
Roosevelts Ausruf
Keine internationale Agentur, nicht die UNO, nicht die Nato oder - kaum vorstellbar - die EU beförderten diesen welthistorischen Wandel. Es waren vielmehr zwei Staaten, nein, zwei Führungspersönlichkeiten, die das Risiko des Eingriffs in den geschichtlichen Prozess eingingen und ihr Los unwiderruflich an die Hoffnung auf eine Wende zum Besseren ketteten, am Golf und darüber hinaus. Wir haben nichts zu fürchten als die Furcht selber, rief einst Präsident Franklin Delano Roosevelt in seiner ersten Inaugurationsrede im März 1933. 70 Jahre später schöpfen die Angloamerikaner aus dieser Ermahnung noch immer ihren Mut, wenn sie an eine Wegmarke kommen, an der Entscheidungen gefällt werden müssen, aus Prinzip: also strategische Entscheidungen.
Das schreibt sich so leicht. Ein Blick in das gealterte Gesicht des 50-jährigen Tony Blair verrät, welcher Preis zu entrichten ist, wenn einer in den Krieg geht und damit die Büchse der Pandora öffnet. Großbritannien, als mittlere Macht, unterliegt in solchem Fall größeren Nervenbelastungen als die Hypermacht Amerika. Auch hatte der Brite einen unendlich höheren Berg des Widerstands zu überwinden als der amerikanische Präsident bei sich zu Hause. Nur eine unwandelbare Überzeugung von der Richtigkeit des Handelns hält so viel Widerstand aus.
Kompliment für "Tony"
Eine zweite Stütze kommt für beide hinzu: Die Präsenz des anderen, des Partners. Technisch gesehen hätten die USA im Irak einen Alleingang riskieren können. Aber der amerikanische Präsident weiß, was ihm die unerschrockene Nähe eines Gleichgesinnten im Auf und Ab des Geschehens vor und nach der Invasion im Irak bedeutet hat und weiterhin bedeutet. Er weiß es, und er weiß es zu schätzen. Kurz vor seinem Staatsbesuch in London im November dieses Jahres stellte Bush in einem Gespräch mit britischen Printmedien seinem britischen Gastgeber das folgende "Zeugnis" aus.
"Tony ist der am wenigsten durch taktische Erwägungen bestimmte Politiker, den ich kenne", so der Präsident. "Er trifft Entscheidungen auf der Basis dessen, woran er glaubt. Er sagt, was er denkt, und tut, was er sagt, dass er tun werde. Das ist ungefähr das höchste Kompliment, das ich einem Regierungschef und Mitstreiter machen kann." Bush fuhr fort: "Nicht ein einziges Mal hat Tony mir gegenüber geklagt: ,Ach, dieser Druck, der auf mir lastet." Auch über Umfragen hat er sich nie beschwert, nie die Hände gerungen. Ich bewundere jemanden, der auch in schwerer See zu sich steht. Und ich bewundere jemanden, der wie ich von dem tief verwurzelten Gefühl ausgeht, dass die Freiheit eine unglaublich wichtige Rolle spielt bei der Veränderung der Welt."
Man mag das als captatio benevolentiae an den Gipfelpartner Blair abtun, kurz vor der Londoner Begegnung. Das würde aber übersehen, wie viel der Amerikaner in diesen Passagen von sich preisgab, wie viel von seiner tiefen Genugtuung, mit dem Casus belli Irak nicht allein geblieben zu sein, trotz der militärische Präponderanz der USA, überwältigend genug für einen Alleingang.
Seltsamste Allianzen...
Ein englisches geflügeltes Wort sagt: History makes strange bed fellows - die Geschichte schmiedet die seltsamsten Allianzen. Die zwischen Tony Blair und George Bush, zwischen dem europäischen Reformsozialdemokraten und dem amerikanischen Neokonservativen, sah zunächst so aus. Als eigentliche Seelenfreunde hatten Bill Clinton und Tony Blair gegolten, das politische Traumpaar schlechthin, sprichwörtlich auf gleicher Wellenlänge. Unvergessen das Dinner zu viert im "Pont de la Tour"-Restaurant an der Themse in Londons Osten, vier Wochen nach Blairs Wahlsieg am 1. Mai 1997. Unvergessen die Dritte-Weg-Seminare auf dem Landsitz Chequers, unter wortgewandter Beteilung von Hillary und Cherie. Blair schaute zunächst zu Clinton auf als dem Täufer des Dritten Weges, der ihm vier Jahre im Amt voraus hatte, 1993 bis 1997.
Mit der Hochachtung war es dann rasch vorbei, wie der angesehene "Times"-Kolumnist Peter Riddell in seinem soeben erschienenen Buch "Hug Them Close" noch einmal in Erinnerung ruft. Blair wurde zunehmend desillusioniert ob Clintons Unfähigkeit, Versprochenes auch einzuhalten. Irak, der internationale Terrorismus sowie der Kosovo-Konflikt waren lehrreiche Beispiele.
Auf die Terroranschläge in Daressalam und Nairobi, im August 1998, reagierte Clinton mit einem Cruise-Missile-Schlag gegen den Süden des Sudan, wo wenig mehr zerstört wurde als ein Arzneimitteldepot. Er machte keine Anstalten, Terrorismus und Schurkenstaaten ernst zu nehmen. Das erwies sich nach dem Bombenanschlag auf das World Trade Centre in New York im Februar 1993, das wiederholte sich drei Jahre später, als die Clinton-Administration kein Interesse zeigte an dem sudanesischen Angebot, ein Geheimdienst-Dossier zur Verfügung zu stellen über Osama Bin Laden und Al Qaida, die gerade aus dem Lande gewiesen worden waren. Bin Laden nistete sich dann, mit den bekannten Folgen, bei den Taliban in Afghanistan ein.
Clinton wird überrundet
Am 31. Oktober 1998 überrundete der eigene Kongress Bill Clinton in puncto Ungeduld mit Saddam Hussein und trotzte dem Weißen Haus den so genannten Iraq Liberation Act of 1998 ab, der ein Programm etablieren sollte "zur Unterstützung eines Übergangs zur Demokratie im Irak" (sic). Unter Sektion 3 dieses Gesetzes steht expressis verbis: "Es sollte die Politik der Vereinigten Staaten sein, Bemühungen zur Beseitigung des Saddam-Regimes zu unterstützen und die Bildung einer demokratischen Nachfolgeregierung zu befördern."
Regime change, Demokratie - es war lange vor George Bush bereits auf dem Tisch; aber alles, wozu sich Clinton, von Blair gedrängt, durchringen konnte, nachdem Saddam Hussein die Arbeit der Waffeninspekteure unmöglich gemacht hatte, war Ende Dezember 1998 die gemeinsame Bombardierung von irakischen Bodenzielen.
Der Kosovo-Konflikt März bis Juni 1999 drohte sogar zum Zerwürfnis zwischen den Dritte-Weg-Brüdern zu werden. Mehrmals gerieten Blair und Clinton aneinander, kulminierend in einem "sehr erregten" 90-Minuten Telefonat, als Blair damit drohte, er werde britische Nato-Truppen abziehen, wenn amerikanische Luftunterstützung nicht endlich in den Krieg eingreife. Ein späteres unschmeichelhaftes Briefing durch den Spin-Meister in der Downing Street, Alastair Campbell, sollte dann Bill Clinton auf die höchste Palme treiben. Die Gemüter beruhigten sich, und der scheidende Präsident gab Blair sogar den guten Rat: "Rück so nah an Bush heran wie mit mir, und unterschätze ihn nicht. Du hast es mit einem geriebenen, hartnäckigen Politiker zu tun, der absolut rücksichtslos sein kann."
Blairs Überzeugung
Schon nach nur einem Jahr hatte der Brite eine engere Beziehung zu Bush aufgebaut als zu dem Mann, dem er diesen Rat verdankte. Wie eng, bewies der Strom persönlicher Notizen von Blair an den neuen Hausherrn in der Pennsylvania Avenue 1600. Nach dem 11. September 2001 intensivierte sich dieser Austausch. Dessen Ausmaß, die schiere Themenfülle, nennt Riddell in seinem Buch "das bisher bestgehütete Geheimnis dieser transatlantischen Beziehung" und vergleicht es mit den Mitteilungen Churchills an Roosevelt während des Zweiten Weltkriegs.
Blair begriff schnell, wen er in George W. Bush vor sich hatte - das genaue Gegenbild zu Bill Clinton, was Verlässlichkeit anging. "Bush ist stark und gerade heraus. Man weiß bei ihm, woran man ist", vertraute er seinen Mitarbeitern früh an - ein Kompliment, das der Amerikaner in dem zitierten Interview gekonnt returnierte. Entschieden stellte sich Blair zudem in der Analyse der neuen Gefahren nach "9/11" an die Seite von Bush - nicht aus taktischem Kalkül, sondern weil er selber davon überzeugt war. Noch am "Libyen-Abend", dem 19. Dezember, ließ er einen Ton höchster Befriedigung anklingen: "Im Übrigen beweisen diese Vorgänge, dass meine Regierung die größte Bedrohung des 21. Jahrhunderts korrekt definiert hat: Massenvernichtungswaffen in den Händen von Schurkenstaaten."
Der Gleichklang mit Bush hat den britischen Premier tief geprägt. Gegen Ende des kürzlichen Staatsbesuches verlor Blair wieder einmal die Geduld mit den Medien, als diese ihn traktierten mit der Frage, was denn der Besuch für ihn, Blair, an amerikanischen Konzessionen gegenüber britischen Desideraten gebracht habe - im Stahlstreit, in der Palästina-Frage, bei den britischen Gefangenen in Guantánamo Bay. "Dieser Besuch hatte nichts mit payback zu tun", erwiderte Tony Blair ebenso entrüstet wie frustriert. "Wir haben hier unsere strategische Allianz weiter gefestigt und unsere Auffassung von den gegenwärtigen und kommenden Gefahren erneut aufeinander abgestimmt."
Auf die amerikanische Karte gesetzt
History makes strange bed fellows. In diesem Fall jedoch nicht ganz so merkwürdige, wie es anfänglich scheinen mochte. Sowohl Blair als auch Bush schöpfen aus einer weltpolitisch interventionistischen Tradition, für die in den USA ursprünglich die demokratische Partei stand, ehe die Erblinie unter Ronald Reagan auf die Republikaner übersprang, zu denen versprengte Vertreter der freiheitlich-liberalen Schule stießen wie Jean Kirckpatrick, Eugene Rostow oder auch Richard Perle. "Reagan-Demokraten" nannte man sie. In England kann sich Tony Blair seinerseits auf William Gladstone berufen, den großen liberalen Premier des 19. Jahrhunderts.
Blair, der so oft wie möglich davon spricht, "im Herzen Europas" zu stehen, hat dennoch aus voller Erkenntnis des Gleichklangs in der Bedrohungsanalyse und eingedenk der enormen Fähigkeit der USA, verändernd einzugreifen in der Welt, auf die amerikanische Karte gesetzt. Nur sie, (noch) nicht die EU, erlaubt ihm, seine Sicht von den Herausforderungen der Zukunft seinerseits in geschichtsträchtige Tat zu verwandeln.
Bei ihrer ersten Begegnung in Camp David, im Februar 2001, versuchten "B&B" noch mit linkischem Witz, ihre Sprödigkeit zu überwinden. "Wir haben festgestellt, dass wir die gleiche Zahnpasta benutzen - Colgate", frozzelte Bush. Inzwischen teilen er und Blair eine Spur in der Gegenwart, die man nicht anders als historisch bezeichnen kann.
Artikel erschienen am 27. Dez 2003
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